Suchtkrankenhilfe

Suchtkrankenhilfe
Suchtkrankenhilfe,
 
Suchtkranken|arbeit, Drogen|arbeit, Drogenhilfe, Sucht|arbeit, Suchtkrankenfürsorge, medizinisch-psychosoziale Begriffe, unter denen generell die helfende Arbeit mit Menschen verstanden wird, die durch Missbrauch, Gewöhnung oder Abhängigkeit von legalen oder illegalen Suchtmitteln oder »nichtstoffgebundenen Verhaltensstörungen« (z. B. Ess-, Spiel- oder Arbeitssucht) Probleme mit sich und ihrer Umwelt haben, die sie allein in der Regel nicht bewältigen können.
 
 
Bei den stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen liegen die Anfänge professioneller Hilfe (vornehmlich noch auf die »Entgiftung« beschränkt) im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Die Arbeit mit Alkoholkranken entwickelte sich zur »Trinkerfürsorge«, die Arbeit mit Morphinsüchtigen zum »Behandlungsmonopol« der Medizin (Psychiatrie). Nach dem Ersten Weltkrieg fing in Deutschland v. a. in den 1920er-Jahren die Suchtkrankenhilfe an, sich landesweit zunächst gegen den Alkoholmissbrauch zu organisieren. Vereine, konfessionelle und konfessionslose Gemeinschaften und Orden sowie Wohlfahrts- und Frauenverbände schlossen sich 1921 zur »Reichshauptstelle gegen den Alkoholmißbrauch« zusammen. Der 47. Deutsche Ärztetag formulierte in Danzig 1928 die »Leitsätze zur Verordnung von Betäubungsmitteln und zur Behandlung von Abhängigen«. Neben der professionellen Hilfe durch Ärzte und Fürsorger organisierten sich die von stoffgebundenen Süchten Betroffenen zunehmend in Selbsthilfegruppen. Für die Alkoholikerselbsthilfe wurden die »Anonymen Alkoholiker (AA)« (USA 1935; erste AA-Gruppe in der Bundesrepublik Deutschland 1952), für die Drogenselbsthilfe die Gruppen »Synanon« (USA 1958; erste Synanon-Gruppe in der Bundesrepublik Deutschland 1971) und »Release« (England 1967; erste Release-Gruppe in der Bundesrepublik Deutschland 1970) wegweisend. Besonders in den 60er-Jahren entwickelte sich die Suchtkrankenhilfe zu einem umfassenden Beratungs- und Behandlungsangebot. In diese Dekade fällt auch die sozialrechtliche Anerkennung der Alkoholkrankheit/Drogenabhängigkeit als Abhängigkeitserkrankung (USA 1966, Bundesrepublik Deutschland 1968).
 
 Aufgabenspektrum
 
Die Suchtkrankenhilfe umfasst Prävention (Prophylaxe), Beratung, Behandlung und Nachsorge.
 
 
In Anlehnung an die Präventionsdefinitionen der WHO 1973 werden drei Bereiche unterschieden. Die Primärprävention bezeichnet eine früh einsetzende, langfristig angelegte, lebenslange Erziehung zum richtigen (indizierten und risikoarmen) Umgang mit Suchtmitteln. Die Sekundärprävention zielt auf bereits latent oder auch manifest Suchtgefährdete (Risikopersonen beziehungsweise Risikogruppen), auch unter Einbeziehung des sozialen Umfeldes (Familie). Die Tertiärprävention umfasst im weiteren Sinn Hilfestellungen in psychosozialer Hinsicht als »Drogenerziehung«. Sie richtet sich an Abhängige auch noch nach erfolgreichem Abschluss von Rehabilitationsmaßnahmen. Zielsetzungen sind Stärkung des Selbstvertrauens und Ermutigung zur Rückkehr in familiäre und berufliche Aufgabenbereiche.
 
 
Die Aussprache zeigt Behandlungsmöglichkeiten auf, vermittelt weiter gehende Hilfen und befasst sich mit den sozialen Folgen der Sucht. Ihre zielgerichtete Behandlung sollte so früh wie möglich beginnen, um körperliche, seelische und soziale Folgeschäden möglichst zu vermeiden. Es ist ein wichtiges Ziel der Beratung, Suchtkranke zu einer frühzeitigen Behandlung zu motivieren. Für die Beratung in Suchtfragen gibt es ein flächendeckendes Netz von psychosozialen Beratungs- und Behandlungsstellen. Drogenabhängige werden teilweise durch so genannte Streetworker erreicht (aufsuchende Drogenarbeit).
 
 
Man unterscheidet die Behandlung der körperlichen Entzugssymptomatik (Entgiftung, meist stationär) und die Behandlung der seelischen Abhängigkeit (Entwöhnung). Die Entwöhnungsbehandlung kann je nach Indikation ambulant, teilstationär oder stationär durchgeführt werden. Die Behandlung ist meist psychotherapeutisch ausgerichtet und hat unterschiedliche Schwerpunkte (z. B. Tiefenpsychologie, Verhaltenstherapie oder systemische Therapie) und Methoden (Einzel-, Gruppen-, Paar-, Familientherapie). Eine stationäre Therapie dauert zwei bis vier Monate und wird in Fachkliniken oder spezialisierten Fachabteilungen durchgeführt, die ambulante Behandlung in psychosozialen Beratungs- und Behandlungsstellen. Inzwischen wird auch versucht, Arzneimittel zur Rückfallprophylaxe einzusetzen. Therapieziel ist in der Behandlung Alkohol- und Medikamentenabhängiger die vollständige lebenslange Abstinenz. Einrichtungen zur Behandlung Drogenabhängiger sind häufig als therapeutische Gemeinschaft organisiert. In Deutschland werden mehrheitlich drogenfreie Wege (d. h. totale Abstinenz) angestrebt. Ergänzend gibt es für Betäubungsmittelabhängige Hilfsangebote, die auf Abstinenz verzichten und zunächst das Überleben der Abhängigen sichern sollen (z. B. Spritzentausch und soziale Hilfsangebote). Bei der Substitutionstherapie werden Opiatabhängige nicht entgiftet, sondern auf ein anderes Betäubungsmittel (in der Regel Methadon) umgestellt.
 
 
Nach einer stationären oder ambulanten Entwöhnungsbehandlung gibt es Nachsorgeangebote zur sozialen und beruflichen Wiedereingliederung. Nachsorge erfolgt stationär, teilstationär oder ambulant. Diejenigen Suchtkranken, die aus besonders belasteten Verhältnissen kommen, sollen z. B. in speziellen Wohngemeinschaften mit therapeutischer Begleitung die Möglichkeit haben, soziale Kontakte aufzubauen und eine Arbeit und Wohnung zu finden. Meist ist jedoch eine ambulante Nachbetreuung ausreichend.
 
 
R. Bathen u. a.: Anpassen oder Streiten - Sozialarbeit/Sozialpädagogik in der S., in: Sucht, Jg. 37 (1991), H. 4; S., hg. v. E. Fleisch u. a. (1997);
 
S. in Dtl. Gesch. - Strukturen - Perspektiven, bearb. v. E. Hauschildt u. a. (1997).

Universal-Lexikon. 2012.

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